Schachtaktik Jahrbücher aus dem JugendSchachVerlag

Schachtaktik Jahrbuch - die Serie von Euro Schach Dresden
 

Jedes Jahr bringt der JugendSchachVerlag von Euro Schach Dresden ein Schachtaktik Jahrbuch heraus. Neulich wurden mir ein paar dieser Jahrbücher zum Rezensieren zur Verfügung gestellt.

"Reine Taktikbücher? Braucht man die heutzutage noch? Es gibt doch überall im Internet Taktikaufgaben für lau!" fragte ich mich spontan. Und die Taktikjahrbücher sind auch keine Lehrbücher, die Gabel, Spieß, Ablenkung, Hinlenkung usw. erklären, sondern bieten typischerweise "nur" jeweils über 400 Stellungen und Lösungen für im vergangenen Jahr gespielte Partien. Wer nur irgendwelche Taktikaufgaben haben will und Internetzugang hat, der braucht diese Bücher nicht.

Wie kommen dann die Schachfreunde von Euro Schach Dresden trotz nachgewiesenen Schachverstands dazu, trotzdem die Bücher rauszubringen?

Na ja, die gut 400 Übungen je Buch sind eben doch noch nicht alles:

Ein charmantes Gimmick zum Einstieg ist der Blick in die Vergangenheit zu Beginn des Buches: Es gibt ein paar Seiten mit Übungen von vor genau 100 Jahren gespielten Partien, die entweder besonders schön oder besonders ausgefallen sind.

Dann werden Taktikaufgaben von Bundesliga, Meisterschaften (Deutschland und international, Olympiade, WM usw.), Jugend- und Seniorenschach abgehandelt. Es sind Stellungen - gelegentlich auch Varianten - aus Partien des Vorjahres und nicht von irgendwann früher, die dem übenden Schachspieler immer wieder mal begegnet sind. Die Ratings der Spieler (von Amateur bis Weltklassespieler) stehen direkt daneben. Man kann sich (und andere) folglich mit aktuell aktiven Spielern vergleichen, was im Internet nicht geboten wird. Außerdem bekommt man die ganze Qualitäts-Palette, vom billigen 2-Züger bis zur langen Kombination, ohne vorher zu wissen, was auf den Übenden zukommt. Damit sind die Jahrbücher für Trainer durchaus eine gute Hilfe, um die Fähigkeiten der Schüler zu ermitteln.

Enthalten sind außerdem die Lösungen mit Subvarianten, was im Internet nicht üblich ist, aber durchaus vorkommt. Auf Wunsch vieler Trainer sind auch sogenannte Kurzlösungen enthalten, die den ersten Zug zu den einzelnen Aufgaben anzeigen. So spart sich der Trainer Sucherei.

Neben den Aufgaben, Lösungen und Ratings gibt es immer wieder kurze Texte über das jeweilige Turnier-Jahr. Dort werden die Turnierergebnisse, die Turnierverläufe und besondere Vorfälle dargestellt. Man bekommt damit auch eine Zusammenfassung des Turnierjahres, was manche völlig überflüssig finden werden, andere wiederum dürften es ganz schön finden, nebenbei etwas über die große weite Schachwelt mitzubekommen.

Die Gliederung ist für mich generell etwas zu undurchsichtig. Die Lösungen und Kurzlösungen finden sich nicht immer auf den Folgeseiten, was ich gut gefunden hätte, sondern sind im Buch verteilt (Kurzlösungen) und an den Kapitelenden (Lösungen). Die Euroschacher machen das jedoch mit Absicht, um die Versuchung zu reduzieren, dass man sich schnell die Lösungen anschaut. Ich finde es lästig, aber das Blättern dauert ja keine Ewigkeit, weil im Inhaltsverzeichnis auf die Seite verwiesen wird.

Fazit?

Taktikaufgaben gibt es gratis wie Sand am Meer im Internet. Wer aber dort üben möchte, wo Internet gerade nicht zur Verfügung steht (WC, Zug, Vereinsabende, usw.) der kann die Taktikjahrbücher gut nutzen. Aber auch Trainer (und ernsthaft Selbsttrainierende) profitieren: Insbesondere der Vergleich mit Spielern verschiedener Ratings ist ein schöner Gradmesser für die jeweiligen Fähigkeiten: Bin ich taktisch so gut wie mein Rating oder schon so gut wie ein Meister oder fehlt mir noch ein gutes Stück Arbeit? Eine Frage, die man ohne diese Bücher nur sehr schwer fundiert beantworten kann, aber immer beantworten können müsste. Und es macht wirklich etwas aus, ob man Taktikaufgaben des letzten Jahres löst oder der letzten x Jahrzehnte. Irgendwie sind die Stellungen um die Standard-Taktiken dann doch anders.

Dennis Calder
Fide Instructor
März 2016

1 bis 4 (von insgesamt 4)